Im antarktischen Sommer – von November bis März – sind die Gewässer rund um den kältesten Kontinent soweit eisfrei, dass Expeditionsschiffe bis Antarktischen Halbinsel und zum südlichen Polarkreis vordringen können. Die Natur ist überwältigend: gigantische Tafeleisberge, unzählige Gletscher, wild gezackte Berge, Pinguinkolonien, Robben und Wale lassen jeden ehrfürchtig staunen. Nur wenige Menschen lieben hier im Sommer auf kleinen Stationen wie dem britischen Port Lockroy.
Vorsichtig tastet sich die „MS Fram“ auf der Suche nach einem sicheren Ankerplatz in die Bucht von Port Lockroy, so wie es früher auch die Wal- und Robbenfangschiffe gemacht haben. Die kleinen Eisberge, die überall auf dem Wasser treiben, fordern von Kapitän Rune Andreassen auf der Brücke höchste Konzentration, die Passagiere genießen derweil das antarktische Postkartenmotiv an der Reling. Mehrere Gletscher rahmen die Bucht ein, ihr gleißendes Weiß steht im Kontrast zu den hoch aufragenden, gezackten Bergen der Wieneckeinsel.
Mitten in der Bucht liegt unser Ziel, die Goudierinsel, nur so groß wie eine Handvoll Fußballfelder. Die Franzosen haben die blank geschliffenen Felsen 1904 entdeckt, die Norweger danach als Walfangstation genutzt, bevor die Briten hier im Zweiten Weltkrieg eine Marinestation einrichteten, die sie 1962 wieder aufgaben und die daraufhin verfiel. Erst 1996 haben sich die Briten an Port Lockroy erinnert und die Station wieder instand gesetzt. Heute betreibt der United Kingdom Antarctic Heritage Trust auf dem winzigen Stück Land ein Museum, eine Post und einen Souvenirladen.
„Mindestens fünf Meter Abstand zu den Pinguinen“, ermahnt uns wie immer beim Verlassen der Polarcircle-Boote Expeditionsleiterin Anja Erdmann. Doch bei diesem Landgang kann sie mit uns nicht so streng sein, denn auf der Insel brüten rund 800 Eselspinguin-Paare dicht an dicht. Sie besitzen die Insel und teilen sie freundlicherweise mit den vier ständigen Bewohnern und den Scharen neugieriger Touristen. Sie laufen geschäftig hin und her, suchen Steinchen für ihre Nester, klauen dem Nachbarn seine Steinchen, wenn er sie mal aus den Augen lässt, zanken und zetern – und ignorieren die großen Zweibeiner mit den Fotoapparaten vollkommen. Spätestens jetzt verstehen wir Anjas Warnung: „Wenn Sie Ihre Freunde nicht langweilen wollen, zeigen Sie ihnen zu Hause nicht mehr als fünf Pinguin-Fotos“. Das wird schwer, denn die Frackträger sind einfach zu putzig.
Die Station leitet eine Deutsche, Ylva Grams, Biochemikerin, gebürtige Marburgerin, die, wenn sie nicht gerade in der Antarktis ist, in den Niederlanden lebt. „Als ich mit der Bark „Europa“ hier war, habe ich erfahren, dass die Leitung der Station frei wird. Daraufhin habe ich mich beworben und wurde genommen“. Jetzt ist sie schon das zweite Jahr von November bis März in Port Lockroy. Zusammen mit drei Britinnen unterhält sie die meistbesuchte Antarktis-Station. Knapp 14 000 Touristen kommen pro Jahr, Tendenz steigend, aber viel mehr geht nicht, denn maximal drei Schiffe dürfen pro Tag Passagiere anlanden und nur 60 von ihnen dürfen gleichzeitig an Land.
Die drängen sich dann in dem kleinen Museum, das die Station so zeigt, wie sie früher aussah. Von der Wand lächelt die jugendliche Queen würdevoll in schwarz-weiss, daneben ein Gemälde der blonden Diana Dors, einer englischen Schauspielerin aus den 50er Jahren, die auf Marilyn Monroe macht. In den Regalen stehen noch rostige Konserven mit „Hunter’s Royal Pork Sausages“ und „Christmas Pudding“. Ebenso beengt ist der Souvenirladen, in dem natürlich Pinguine die Hauptrolle spielen, selbst auf jedem Kugelschreiber ist das Pinguinlogo. Heiß begehrt ist auch der Stempel der südlichsten Poststelle der Welt – es dauert zwar eine ganze Weile, aber die Postkarten kommen wirklich an, Ehrensache für die britische Post. Laden und Post sind überlebenswichtig, denn sie finanzieren die Arbeit des Antarctic Heritage Trust, der historische Stätten wie diese renoviert und für die Nachwelt erhält.
„Trotz 12-Stunden-Tagen haben wir eigentlich keine Zeit für Forschung. Nur eine kleine Pinguin-Studie führen wir seit einigen Jahren durch“, erklärt Ylva bedauernd. Die Studie zeigt Überraschendes. Im hinteren Teil der Insel dürfen die Pinguine ungestört brüten, Menschen haben keinen Zutritt. Doch die Tiere bevorzugen den Teil der Insel, über den jeden Tag Menschen laufen. Heißt das, dass Pinguine Menschen mögen? Nicht unbedingt, aber Menschen vertreiben Raubmöwen und die sind ständig hinter Pinguineiern her.
Eine Stunde unter Pinguinen ist viel zu kurz, doch fünf Monate inmitten einer streng riechenden Kolonie? „Pinguine nerven nie“, versichert Ylva Grams sofort. Und doch genießt sie es, zum Duschen, zum Dinner und um Mails zu schreiben, mit auf die „MS Fram“ zu kommen, denn diesen Luxus gibt es auf der Goudierinsel nicht – nur Gletscherwasser. „Wir haben nicht einmal ein Boot, um die Gegend zu erkunden, das wäre viel zu gefährlich.“
© Text und Fotos: Christian Nowak