Den ganzen Sommer über liegt Musik in der Luft: in der Hauptstadt Tórshavn ebenso wie in den verstreuten Dörfern oder in den von Wind und Wellen ausgewaschen Meeresgrotten. Grün und schroff liegen die Inseln mitten im Atlantik, ein Paradies für Schafe und Seevögel. Wer sich auf die traditionelle Küche der Färinger einlässt, wird mit intensiven Geschmackserlebnissen belohnt.
In gemächlichem Tempo tuckert die „Norðlýsið“ aus dem Hafen. Heute herrscht Flaute, deshalb musste Kapitän Birgir Enni den Schiffsdiesel des historischen Schoners anwerfen, die Segel bleiben eingerollt. Die „Norðlýsið“ ist eine betagte Schönheit, 1945 in Tórshavn gebaut, ging sie lange auf Heringsfang, seit einigen Jahren schippert sie Touristen durch die Gewässer der Färöer-Inseln. An Backbord zieht die Halbinsel Tinganes vorbei, in den roten Holzhäusern mit Grassodendächern, die wie ein perfekt saniertes Freilichtmuseum wirken, residiert das Färöische Parlament Løgting. Im Sommer wirkt das Regierungsviertel der kleinen Inselnation verlassen, doch nach der Sommerpause nimmt eine der ältesten Volksvertretungen Europas mit einem großen Festakt wieder die Arbeit auf.
Birgir Enni, ein Seebär wie aus dem Bilderbuch, steuert den Gaffelschoner „Norðlýsið“ von Tórshavn um die Südspitze der Hauptinsel Stremoy und nimmt dann Kurs Nord auf die kleine Insel Hestur.
Einladung zum Concerto Grotto
Ziel ist eine der größten Höhlen an der Küste. Hier lässt Birger ausbooten, das letzte Stück bis zum haushohen Höhleneingang wird in Zodiacs zurückgelegt. Kaum ist das letzte Schlauchboot in der Höhle, beginnt das „Concerto Grotto“. Heute verzückt Heðin Ziska Davidsen mit seiner elektrischen Gitarre die Zuhörer. Nur ein schwacher Lichtschein fällt durch den fernen Höhleneingang, ansonsten ist es stockfinster. Die Höhlenwände sorgen für eine einmalige Akustik, untermalt wird das Gitarrenkonzert vom leisen Rauschen der Brandung, Musik und Meer verschmelzen so zu einem fast mystischen Klangerlebnis. Die Höhlenkonzerte sind Teil des alljährlichen Musikfestivals Summartónar, das nicht nur die Nächte in der Hauptstadt in einen Festivalrausch versetzt, auch in vielen kleinen Orten auf den Inseln stehen Folk, Jazz und Blues auf dem Programm.
Die Inselgruppe der Färöer liegt mitten im Atlantik zwischen Großbritannien, Norwegen und Island, die 18 Inseln gehören zwar zu Dänemark, besitzen aber eine gewisse Autonomie. Stolz sind die rund 50.000 Färinger auf ihre Inselwelt, als Dänen sehen sie sich nicht, eher als eigenständiges Volk, das direkt von den Wikingern abstammt und seine eigene Sprache spricht.
Zwischen Seevögeln und Schafen
Die meisten Inseln erheben sich als schroffe, bizarre Felsen aus dem Meer. Oft sind sie in Nebel gehüllt, denn die Inselgruppe bekommt so gut wie jedes atlantische Tiefdruckgebiet ab. Doch wenn die Sonne durchbricht, leuchten die Färöer sattgrün unter einem stahlblauen Himmel – bis zum nächsten Regenschauer. Von den Berghängen plätschert das Wasser, im Laufe der Zeit hat es sich tiefe Rinnen gegraben. Fjorde und Schluchten reichen weit ins Landesinnere, die Küsten sind reich an Höhlen und Grotten. Schwindelerregend steil fallen die meisten Felswände zum Meer ab, auf winzigen Felsvorsprüngen brüten im Sommer Millionen von Seevögeln und veranstalten ein Höllenspektakel. Durch diese archaische Landschaft streifen einige Zehntausend Schafe, sie halten das saftige Gras kurz, sorgen aber auch dafür, dass auf den Inseln kein Baum wächst. An einigen Stellen werden Kartoffeln und Gerste angepflanzt, auf kleinen Feldern auch mal Rhabarber und Kohlrabi oder Mairübchen, die allerdings in dem feucht-kühlen Klima erst Anfang August geerntet werden können.
Kein Punkt auf den Inseln liegt weiter als fünf Kilometer vom Meer entfernt. Winzige Dörfer, die sich alle „bygd“ nennen liegen direkt an der Küste, die Häuser drängen sich in einer Bucht dicht aneinander, so, als ob sie Schutz vor Wind und Wetter suchen. Fast überall sieht man noch die alten Holzhäuser, mal kunterbunt, dann wieder schwarz geteert mit weißen Sprossenfenstern, auf dem Dach wächst Gras.
Fermentiertes Lammfleisch und getrockneter Fisch
Jahrhunderte lang hat die Natur den Speiseplan diktiert, wobei Fisch und Lammfleisch die wichtigsten Energiequellen waren. Heute wird zwar fast alles aus Dänemark importiert, doch die alten Essgewohnheiten werden vielerorts noch gepflegt. Eine fermentierte und luftgetrocknete Schafskeule gilt immer noch als Delikatesse, auch wenn der ziemlich strenge Geruch so manchen Besucher abschreckt. Das Restaurant „Ræst“ in einem der schönsten und ältesten Gebäude von Tórshavn hat sich auf traditionelles Essen spezialisiert. Küchenchef Kári zaubert aus fermentiertem Lammfleisch, getrocknetem Fisch und Walblubber ein bemerkenswertes Siebengängemenü, das Nase und Gaumen lange in Erinnerung bleibt.