Tallinns Altstadt ist UNESCO Weltkulturerbe
Quicklebendiger Mittelpunkt der Altstadt ist der Raekoja Plats mit dem gotischen Rathaus aus dem 15. Jahrhundert und einem Ensemble gut erhaltener, mittelalterlicher Häuser. Wer sich die Mühe macht, die dunkle und nach oben hin immer schmaler werdende Wendeltreppe des schlanken Rathausturmes zu besteigen, wird mit einem schönen Blick auf das mittelalterliche Städtchen, den Hafen und die Bucht von Tallinn belohnt. Das Gewirr der roten Dächer wird von mehreren Kirchtürmen durchstoßen, von denen die Olaikirche und die Nikolaikirche ihre Türme am weitesten in den Himmel recken. Auch die prächtigen Kuppeln der Alexander-Nevski-Kathedrale auf dem Domberg sind gut auszumachen. Von oben erkennt man auch die Reste der Stadtmauer, die Tallin früher zu einer der mächtigsten Festungen in Nordeuropa machte. Heute ist der Verteidigungsring löchrig, denn nur noch rund die Hälfte der einst 46 Verteidigungstürme ist erhalten geblieben. Trotzdem erfüllt die Stadtmauer auch heute noch ihren Zweck und grenzt die Altstadt gegen das moderne Tallinn ab.
Unterstadt und Domberg
Das sommerliche Tallinn ist eine Stadt zum Schlendern, Shoppen und Genießen. Die engen, mit Kopfsteinen gepflasterten Gassen sind gesäumt von wunderschönen alten Häusern. In den verwinkelten Altstadtgassen finden Besucher unzählige Antiquitätenhändler, Galerien, Kunsthandwerksbetriebe, Cafés, Kneipen und Restaurants. Über das Kurze Bein, eine steile Rampe, oder das Lange Bein, die nicht ganz so steile Aufstiegsvariante, erreicht man von der Unterstadt den Domberg. Früher lebten nur die Ritter auf dem 50 Meter hohen Felsen der Oberstadt. Unten wohnten die Kaufleute und das gemeine Volk, denen jeden Abend die Tore zur Oberstadt vor der Nase zugeknallt wurden. Kein Wunder, dass blutige Auseinandersetzungen zwischen Ober- und Unterstadt keine Seltenheit waren. Eindrucksvoll präsentieren sich heute auf dem Domberg die St. Marienkirche, die Alexander-Nevski-Kathedrale und das Schloss.
Für Schlemmer und Genießer
Im Sommer ist das Angebot an Restaurants, Kneipen und Cafés in der Tallinner Altstadt überwältigend. Draußen sitzen ist angesagt, auf hölzernen Terrassen, die in fast jeder Straße und auf jedem Platz zu finden sind. Stimmungsvoll mittelalterlich geht es im Olde Hansa zu. In dem dreistöckigen Restaurant stimmt einfach alles, vom Ambiente bis zum Essen. Dunkle Räume, nur spärlich von Kerzen erhellt, die Bedienung in mittelalterlichen Kostümen, die Speisekarten mit viel Liebe zum Detail ausgearbeitet. Schon das Brot und die Vorspeisen sind ein Gedicht, gewöhnungsbedürftig dagegen das Honigbier und der Kräuterwein.
Ins Balthasar sollte man nur gehen, wenn man keine Angst vor Mundgeruch hat, denn hier wird vom Appetizer bis zum Dessert reichlich Knoblauch serviert. Das erste und einzige Knoblauch-Restaurant Tallins ist in einem der ältesten Gebäude der Stadt untergebracht und überzeugt durch ein dezentes und edles Interieur mit viel Holz. Seinen Namen bekam es von dem Schriftsteller und Historiker Balthasar Russow, der hier gewohnt und viel Wissenswertes über die Geschichte Estlands vom 12. bis zum 16. Jahrhundert zusammengetragen hat.
Immer einen Besuch wert ist auch das Maiasmokk, das älteste Café der Stadt. Auf der kleinen Terrasse sitzt man etwas abseits des Trubels und auch innen ist das Maiasmokk, was soviel wie süßer Zahn bedeutet, klein und gemütlich. Die Kuchenauswahl ist eher bescheiden, dafür sind die Piroggen wirklich lecker.
Weiße Nächte und Altstadtfestival
Aus historischen Aufzeichnungen weiß man, dass die Tallinner schon im 14. Jahrhundert Stadtfeste gefeiert haben, bei denen die besten Bogenschützen und die schönsten Frauen gekürt wurden. Dann geriet diese Tradition lange in Vergessenheit, bis sie 1982 wiederbelebt wurde. Seitdem gibt es jedes Jahr Anfang Juni wieder ein Altstadtfestival. Für die Tallinner ist es der Beginn des Sommers, denn Anfang Juni steigen die Temperaturen schon auf sommerliche Werte und die berühmten weißen Nächte lassen die Stadt in einem samtweichen Licht erstrahlen. Für das Altstadtfest wird auf dem Rathausplatz eine große Bühne aufgebaut, auf der bis spät in den Abend live Musik gespielt wird. Dann schlendern unzählige Besucher durch die Gassen und die Freiluftcafés und Restaurants machen einen Großteil ihres Jahresumsatzes. Kunsthandwerker bieten Mittelalterliches an, Schmuck und Schmiedewaren, eigenwillige Hüte und allerlei Krimskrams.
Jenseits der Altstadtmauern
Verlässt man die Altstadt und geht zum Viruplatz, taucht man in das moderne Tallinn ein. Statt enger Gassen und ruhiger Fußgängerzonen rollt hier der Berufsverkehr auf breiten Straßen. Statt mittelalterlicher Architektur fast nur nüchterne, stark von der Sowjetzeit geprägte Plattenbauweise. Einige dieser architektonischen Sünden haben mittlerweile ein Facelifting erhalten. Doch bei einer Fahrt in die Trabentenstädte bleibt die Schönheit endgültig auf der Strecke, hier zeigt Tallinn sein zweites Gesicht. Überall fallen die Versäumnisse der letzten Jahrzehnte ins Auge, hier wartet noch vieles auf eine Sanierung.
Trotzdem gibt es auch außerhalb der Altstadtmauern einiges Sehenswerte. So das Freilichtmuseum Rocca al Mare, das nordöstlich vom Zentrum direkt am Meer liegt und seinen eigenwilligen Namen einem reichen Tallinner Kaufmann und Italienliebhaber verdankt. Auf dem weitläufigen Gelände stehen rund 70 historische Gebäude aus allen Teilen Estlands. Richtig Leben kommt in das Freilichtmuseum am Wochenende, wenn die farbenprächtigen Trachtengruppen kommen und zu traditioneller Musik tanzen.
Nicht weit vom Freilichtmuseum entfernt befindet sich der ehemalige Sommersitz von Zar Peter I., den er zu Ehren seiner Frau Katharina „Jekaterinental“ genannt hat. Das mittlerweile prachtvoll renovierte Schloss Kadriorg gilt als einer der schönsten Barockbauten im ganzen Baltikum. Auch das Interieur ist sehenswert, besonders der Raum über dem Foyer mit seiner Stuckdecke und den Wand- und Deckengemälden. Von dem umgebenden Park ist erst ein Teil wieder im Originalzustand, sonst herrscht noch Wildwuchs.
Auf dem Weg zum Piritafluss kommt man an der riesigen Sängerbühne vorbei, auf der 30.000 Sänger gleichzeitig auftreten können. An der Mündung des Piritaflusses ist das Olympische Segelzentrum zu besichtigen, das allerdings seit den Spielen von 1980 viel von seiner Attraktivität verloren hat. Gleich nebenan stehen die Ruinen des Birgittinenklosters, einst das größte Nonnenkloster Estlands. Besonders beeindruckend präsentiert sich die Ruine der dreischiffigen Klosterkirche, die im 16. Jahrhundert während der Belagerung der Stadt zerstört wurde. Heute stehen zwar nur noch die Außenmauern, aber der Westgiebel ragt beeindruckend in den Himmel.